Investition statt Spekulation
Der Zins ist zurück, das ist für Privatanleger, aber auch für die Kapitalmärkte grundsätzlich eine gute Nachricht.
Zwar erzeugte der schnelle Zinsanstieg ein „spaßfreies“ Anlagejahr 2022, bot aber natürlich auch die Opportunität, gute Aktien, Anleihen oder Fonds (nach)zukaufen. Sofern man über die notwendige Flexibilität oder Liquidität verfügte, konnte man im Jahr 2023 einiges ausgleichen. Hinzu kommt, dass Risiken nun wieder einen Preis haben und man wieder genauer prüfen muss, ob eine Investition auch ein Kreditrisiko wert ist.
Auch wenn die Zinssätze, nach historischen Maßstäben, noch als eher niedrig einzustufen sind, markiert das Ende des billigen Geldes zumindest das Ende vieler hoch verschuldeter und wenig profitabler Unternehmen, die sich in der Niedrigzinsphase mit zu großem Kreditvolumen oder Anleihen finanziert haben. So entstehen dann eher volkswirtschaftliche Bereinigungseffekte und keine echten Probleme für die Finanzmärkte.
Lehren aus der Prozentrechnung
Solche Bereinigungen sind eigentlich wünschenswert. Ungünstig ist es nur, wenn man in solchen Unternehmen investiert war. Beispiele wie Wirecard, WeWork und jetzt auch Signa lassen grüßen. Häufig sind schnelle Umsatzanstiege kombiniert mit hohen Fremdkapitalanteilen und schwachen Organisationsstrukturen ein Warnsignal. Es klingt zwar simpel, aber schon der Basiseffekt der Prozentrechnung erinnert daran, dass man Verluste möglichst klein halten sollte. Je größer der Verlust eines Investments, desto größer ist der erforderliche Kursanstieg, um wieder in den Einstiegsbereich zu gelangen. Verliert ein Investment 50 Prozent, wird der Verlust erst mit einem Kursgewinn von 100 Prozent wieder ausgeglichen. Insbesondere für Einsteiger ist es daher wichtig, zunächst möglichst wenig zu verlieren und das Basisinvestment mit stabilen, bewährten Titeln aufzubauen.
Fundamentaldaten müssen stimmen
Eine Investition sollte daher aufgrund von fundamentalen Aspekten getätigt werden. Sind die Daten stabil und keine negativen Signale erkennbar (Unternehmen, Management, Branche), ist eine Position zu halten. Dabei ist nicht so entscheidend, ob der Kurs/Preis eines Anlagevehikels höher steht als beispielsweise noch vor einem Jahr, sofern die Perspektive intakt ist. Wenn ein Unternehmen oder eine Branche nicht mehr zukunftsträchtig ist, ein Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert oder wiederholt Managementfehler auftreten, ist die entsprechende Position zu verkaufen. Es spielt dann auch keine Rolle, ob sich das Wertpapier im Plus oder Minus befindet. Die Fundamentaldaten eines Unternehmens oder einer Branche sind deshalb auch grundsätzlich wichtiger als das Timing. Auch bekannte Vermögensverwalter oder Fondsmanager versuchen nicht, den Einstiegs- oder Verkaufszeitpunkt exakt zu timen.
Zeit zum Nachkaufen
Man kann es nicht oft genug betonen: Die Zinsentwicklung an den Kapitalmärkten ist von entscheidender Bedeutung für alle Assetklassen und die Strukturierung eines Gesamtportfolios. Das wurde Anlegern, die fast ausschließlich fallende bzw. niedrige Zinsniveaus gewöhnt waren, im letzten Jahr vor Augen geführt. Allerdings muss man dann auch erkennen, dass nicht die gewählten Anlagen falsch waren, sondern nur durch gestiegene Zinsen unter Druck gerieten. Ruhe und Disziplin waren gefragt. Fallen fundamental gute Anlageinstrumente wegen exogener Faktoren, ist es eher an der Zeit für Zukäufe, sofern Liquidität vorhanden ist. Es ist immer schade, wenn Anleger in solchen Phasen den Kapitalmarkt verlassen.
Nicht auf politische Ereignisse wetten
Zwar sind Wahlausgänge in relevanten Volkswirtschaften, wie in den USA, von Bedeutung. Es gibt aber kaum Investoren, die behaupten zu wissen, wie eine Wahl ausgeht. Daher ist es besser, gegebenenfalls etwas Liquidität zurückzuhalten, das Ergebnis abzuwarten und etwas später zu investieren. Natürlich entgehen einem eventuell ein paar Prozent Performance. Meistens sind das aber nur kurzfristige Effekte. Daher ist es wichtiger, das Verlustrisiko zu begrenzen und keine Wetten einzugehen.
Diversifikation mit stabilen Unternehmen
Mit Einzeltiteln ist es für Privatanleger naturgemäß schwierig, eine breite Streuung des Portfolios zu erreichen. Mit einer Mischung von bewährten aktiven, vermögensverwaltenden Fonds ist sowohl eine ordentliche Diversifikation als auch eine Investition in stabile Unternehmen gewährleistet, da die Investmenthäuser über ein differenziertes Research und Analyseverfahren verfügen. Außerdem muss man sich nur sehr selten um eine Allokation des Portfolios kümmern. Beispielsweise können die bewährten offensiveren Strategien mit defensiven Fonds kombiniert werden. Je nach persönlichem Chance-Risikoprofil setzen Anleger unterschiedliche Schwerpunkte. Bei der Verwendung mehrerer Fondsprodukte ist unbedingt auf den Einsatz unterschiedlicher Investmentphilosophien zu achten, damit zu viele Überschneidungen bei der Investition vermieden werden. So entsteht dann echte Diversifikation. Wer einfach über eine App reflexartig irgendwelche ETF oder Einzeltitel kauft, die derzeit „beliebt“ sind, investiert nicht, sondern spekuliert nur.
Gastautor Andreas Görler ist Senior-Wealth-Manager und zertifizierter Fachmann für nachhaltige Investments bei der -Wellinvest- Pruschke & Kalm GmbH in Berlin. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.
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