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Künstlersozialversicherung – eine Lösung für Plattformen?

Die Verbreitung von arbeitsvermittelnden Internetplattformen wirft viele Fragen hinsichtlich der sozialen Absicherung der dort Tätigen auf.

Gibt es in Deutschland mit der Künstlersozialversicherung ein etabliertes System, das die Absicherungslücken in der Plattformökonomie stopfen helfen könnte?

Auf Internetplattformen wie Clickworker, Taskrabbit oder Uber wird heute eine Vielzahl verschiedenster Dienstleistungen angeboten. Eine global verteilte, online arbeitende Internetcrowd leistet Rechercheaufgaben, verschlagwortet Bilder und kategorisiert Produkte. Helfer im „echten“ Leben montieren Möbel, putzen die Wohnung und übernehmen Reparaturen im Haus. Ebenso finden auf Internetplattformen Personen zusammen, die Fahrdienste anbieten und suchen. Mit seinem Geschäftsmodell ist Uber nicht nur ein äußerst erfolgreicher, stark wachsender Akteur der Plattformökonomie, sondern hat sich in den letzten Jahren auch zum Aushängeschild einer neuen digitalen, prekären Arbeitswelt entwickelt.

Mit der Plattformökonomie ist ein neuartiger Arbeitsmarkt entstanden, auf dem Anbieter und Nachfrager diverser Dienstleistungen durch Plattformvermittlung zusammenkommen. Auf der Seite der Arbeitanbietenden zeigt sich ein buntes Bild. Nicht nur sind es die unterschiedlichsten Tätigkeiten, die Plattformen vermitteln, auch werden die Arbeitskräfte aus den verschiedensten Motiven über die Plattformen tätig – nicht selten im Nebenerwerb. Was den Jobs aber größtenteils gemeinsam ist: die geringe Bezahlung sowie das Fehlen von Schutznormen, wie sie gewöhnlich Arbeitnehmern zugutekommen. Plattformarbeitskräfte gelten in der Regel als Selbständige. Daher haben sie keinen Anspruch auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie genießen keinen Kündigungsschutz und sind häufig nicht in die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme eingebunden.

Reformbedarf ist erkannt

Zwar ist Plattformarbeit ein noch relativ kleines, jedoch dynamisch wachsendes Phänomen. Es setzt zudem das in Zeiten der Digitalisierung der Arbeitswelt ohnehin bereits in Bedrängnis geratene Normalarbeitsverhältnis weiter unter Druck. Daher ist zu befürchten, dass mit der weiteren Verbreitung der prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Plattformökonomie eine Aushöhlung sozial- und arbeitsrechtlicher Standards einhergeht, die es regulatorisch in den Griff zu bekommen gilt. Dabei ist lediglich ein transnationaler Ansatz aussichtsreich. Schließlich agieren die meisten Internetplattformen über nationale Grenzen hinweg. Nationale Regulierungsansätze können daher von vornherein der Herausforderung nicht gerecht werden.

In den EU-Ländern hat die Debatte rund um die Plattformökonomie mit ihren neuen Formen des Arbeitens an Fahrt aufgenommen. Konkrete Reformvorschläge widmen sich den Arbeitsverhältnissen in der Plattformökonomie. Auf europäischer Ebene wirkt das Subsidiaritätsprinzip bremsend, da Regulierungen von Plattformarbeit den Bereich des nationalen Arbeits- und Sozialrechts berühren.

Probleme sind nicht so neu, wie sie scheinen

Die Plattformökonomie bündelt wie ein Brennglas Probleme und Herausforderungen für die soziale Sicherung, wie sie seit bereits längerer Zeit im Zuge eines umfassenden Wandels der Arbeitswelt sichtbar werden. Es erscheint daher sinnvoll, in Regulierungsfragen eine umfassendere Perspektive einzunehmen und über den Tellerrand der Plattformökonomie hinauszublicken. Immerhin sind die Probleme, wie sie heute im Zusammenhang mit Plattformarbeit diskutiert werden, nicht ganz neu. Abgrenzungsprobleme zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung sind unter dem Schlagwort Scheinselbständigkeit lange bekannt. Ebenso ist der Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zur Umgehung von Schutzbestimmungen ein altbekanntes Problem.

Idee aus den USA: „Sammelkonto“ für Beiträge

Für den US-amerikanischen Arbeitsmarkt hat Steven Hill für die New America Foundation einen Vorschlag ausgearbeitet, der der neuen Arbeitsrealität Rechnung tragen soll, wonach immer mehr Menschen im Laufe ihrer Karriere zwischen selbständigen und abhängigen Beschäftigungsformen hin und her wechseln. Das soziale Sicherheitsnetz soll nach Hills Meinung portabel werden, indem Unternehmen einen lohnabhängigen Betrag auf ein individuelles Sozialversicherungskonto („Individual Security Account“) einzahlen. Auf diesem Konto werden alle Beiträge sämtlicher Arbeitgeber, für die die Arbeitskraft tätig ist, gesammelt. Auch die Arbeitskräfte selbst beteiligen sich mit entsprechenden Beiträgen.

Passt die KSV auch für andere Tätigkeiten?

Mit Blick auf die Absicherungslücken in der Plattformökonomie verweist Hill darauf, dass in Deutschland bereits Erfahrungen mit einer solchen ortsungebundenen Sozialversicherung bestehen. Die deutsche Eigenheit der Künstlersozialversicherung (KSV) entspricht in groben Zügen Hills Konzept. Sie könne als Ausgangspunkt für ein einheitliches System dienen, in das auch weitere Berufe eingeschlossen werden. Die Künstlersozialversicherung wurde 1983 als Teil der gesetzlichen Sozialversicherung eingeführt, um Künstlern und Publizisten Zugang zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zu verschaffen. Dabei werden Mittel für die Beiträge anteilig zur einen Hälfte durch die Versicherten sowie zur anderen Hälfte durch die Künstlersozialabgabe (30 Prozent) und durch Bundeszuschüsse (20 Prozent) aufgebracht.

Verhältnis der gegenseitigen Abhängigkeit

Im Diskurs um die soziale Absicherung von Plattformarbeitskräften wurde immer wieder die deutsche Künstlersozialversicherung als mögliches Vorbild ins Spiel gebracht. Isabell Hensel geht sogar so weit, aus dem Schutzbedürfnis digital Beschäftigter eine Beitragspflicht der Plattformen abzuleiten. Wenngleich Plattformarbeitskräfte nicht unter die Einbeziehungstatbestände des Rentenversicherungsrechts fielen, so sind sie Hensels Meinung nach doch in besonderer Weise schutzbedürftig. Die Juristin verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Künstlersozialversicherung eine spezifische Verantwortung beteiligter Dritter festgestellt hat, die sich aus einem „engen, symbiotischen Verhältnis der gegenseitigen Abhängigkeit“ ableiten lasse.

Ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis sei auch bei Plattformarbeit gegeben. So wie Plattformarbeitskräfte auf die besondere Weise der Vermittlung durch die Plattformen angewiesen sind, basiert das Geschäftsmodell der Plattformen auf der Existenz digitaler Arbeitskraft. Das heißt: Die Künstlersozialversicherung dient nicht bloß als Vorbild für die Ausgestaltung der sozialen Absicherung von Plattformarbeit. Vielmehr verlangt Hensels Ansicht nach die Logik der Künstlersozialversicherung geradezu, Plattformen mit einer Abgabe für die Nutzung digitaler Arbeitskraft in die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen.

Arbeitsrechtliche Schutzlücken bleiben bestehen

Kann also die deutsche Besonderheit der Künstlersozialversicherung als Vorbild für die soziale Absicherung von Plattformarbeit dienen? Ließe sich nach deren Konstruktionsprinzipien eine Sozialkasse auf EU-Ebene einrichten, die europäischen Plattformarbeitern Zugang zu Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung gewährt? Sicherlich wäre dadurch ein erster Schritt hin zu einer Absicherung getan. Jedoch kann auch dieses Modell die grundlegende Frage des Beschäftigungsstatus von Plattformarbeitern nicht lösen. Als Selbständige eingestufte Plattformarbeitskräfte würden sich daher nach wie vor mit arbeitsrechtlichen Schutzlücken konfrontiert sehen. In den Genuss einer über die sozialversicherungsrechtliche Absicherung hinausgehenden Arbeitgeberverantwortung würden Plattformtätige weiterhin nicht kommen. So wären beispielsweise die Zahlung von Mindest- und Tariflohn, die Einhaltung von Arbeitszeitgesetzen und viele weitere Schutzvorschriften in der Plattformökonomie nicht verpflichtend. Gerade in der Rentenversicherung wirkt sich dieser Umstand über den Umweg geringerer Löhne in der Praxis dann wieder negativ auf die soziale Absicherung aus.

Obgleich das Modell der Künstlersozialversicherung in der Theorie eine vielversprechende Option sein könnte, bleibt die Frage, ob es faktisch geeignet ist, die Schutzlücken zu beseitigen.