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Signalisiert die Lohnquote wachsende Ungleichheit?

In Deutschland wachse die Ungleichheit, heißt es in letzter Zeit des Öfteren. Als Beleg wird dafür auch eine Verschiebung von Arbeitseinkommen hin zu mehr Kapitaleinkommen ins Feld geführt. Aber ist das wirklich so?

Kapitaleinkommen beziehen eher die Begüterten, so die landläufige Meinung. Nehmen diese Einkommen in Relation zu den Arbeitseinkommen zu, dann signalisiere dies eine Schieflage in der Verteilung der Einkommen. Die Ungleichheit in der Gesellschaft wachse. Um diesen Trend aufzuhalten, fordern linke Politiker zum Beispiel eine Abschaffung der pauschalen Abgeltungssteuer für Kapitalerträge und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Belege für die unterstellten Veränderungen in der Einkommensverteilung bleiben diese politischen Akteure aber zumeist schuldig.

Daher lohnt ein Blick auf die Zahlen. Als Messgröße eignet sich die sogenannte Lohnquote. Sie beziffert den Anteil der Arbeitnehmerentgelte am gesamten Volkseinkommen. Die Arbeitnehmerentgelte setzen sich zusammen aus den Bruttogehältern und den Sozialbeiträgen der Arbeitgeber. Zu Letzteren gehören zum Beispiel auch die Beiträge, die Unternehmen für eine spätere Betriebsrente in eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds einzahlen, aber auch Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen und Fahrkostenzuschüsse.

Es gibt keinen durchgängigen Rückgang

Im vergangenen Jahr betrug die Lohnquote in Deutschland rund 68 Prozent des Volkseinkommens. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob das viel oder wenig ist. Aufschlussreicher ist die Entwicklung im Zeitablauf. So lässt sich ein langfristiger, durchgängiger Rückgang keineswegs erkennen. In den 50er Jahren war die Lohnquote in Westdeutschland mit weniger als 60 Prozent deutlich niedriger. Sie stieg dann bis Anfang der 80er Jahre auf 73 Prozent an, wie Auswertungen des Instituts der Wirtschaft in Köln zeigen. Danach ging sie wieder zurück. Bis 2003 bewegte sich die Lohnquote unter leichten Schwankungen um den Wert von 71 Prozent.

2004 begann ein starker Einbruch, der bis 2007 anhielt. Seit der Finanzmarktkrise im Jahr 2009 bewegt sich die Quote auf einem relativ stabilen Niveau von 68 Prozent. Aus den zurückliegenden zehn Jahren lässt sich also keineswegs eine für die Arbeitseinkommen ungünstige Verschiebung aus der Lohnquote ableiten. Auch eine längerfristige rückläufige Entwicklung gibt es nicht. Statt dessen, so schreibt Michael Grömling vom IW Köln, wechselten sich Phasen mit ausgeprägter Stabilität und Phasen mit merklichen Anstiegen und Rückgängen ab. Aussagen über eine Tendenz hängen also immer sehr stark davon ab, welcher Zeitraum betrachtet wird. Aus den letzten zehn Jahren zumindest lässt sich keine Notwendigkeit für eine verteilungspolitische Korrektur mit der Lohnquote begründen.

Gipfel der Quote bei schlechter Konjunktur

Außerdem hilft es zu wissen, warum es in der Vergangenheit mehrere deutliche Anstiege der Lohnquote gegeben hat. Die beiden „Gipfel“ Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre und auch der starke Anstieg 2008/2009 fanden nämlich in konjunkturell schlechten Zeiten statt. Aber das liegt nicht daran, dass in diesen Zeiten die Arbeitnehmerentgelte stark geschwankt haben. Volatil waren statt dessen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Diese sinken in wirtschaftlich schwachen Phasen häufig sogar absolut. Arbeitseinkommen dagegen steigen dann sogar oftmals weiter an. Das war auch 2008/2009 so. Die Unternehmen hielten trotz wirtschaftlicher Belastung an den Belegschaften fest, so dass auch in dieser Phase der Anteil der Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit schwach anstieg.

Im Aufschwung hinken Arbeitseinkommen hinterher

Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen brachen dagegen um 4,4 Prozent (2008) und 12,3 Prozent (2009) gegenüber dem Vorjahr ein. Im Aufschwung ist es häufig genau umgekehrt. Die Beschäftigung kommt nur mit einiger Verzögerung wieder in Fahrt. Damit hinken auch die Arbeitseinkommen etwas hinterher. Die Gewinne der Unternehmen und die Kapitaleinkommen der Haushalte erholen sich dagegen viel schneller.

Die Veränderungen bei der Lohnquote lassen sich also kaum als Indikator für die derzeit laufende Ungleichheitsdebatte einsetzen. Ein internationaler Vergleich, den das IW Köln anstellte, zeigt zudem in anderen entwickelten Ländern ähnliche Muster wie in Deutschland. Allerdings ist ein solcher Vergleich nicht so ohne weiteres herzustellen. Eine Lohnquote auf der Basis des Volkseinkommens wie in Deutschland ist dabei nicht üblich. Statt dessen wird als Bezugsgröße die Bruttowertschöpfung benutzt.


Quelle: „Entwicklung der makroökonomischen Einkommensverteilung in Deutschland“, Michael Grömling, März 2017