Können Ältere die Lücke am Arbeitsmarkt schließen?

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21. Oktober 2024

Können Ältere die Lücke am Arbeitsmarkt schließen?

Der demografische Wandel stellt den Arbeitsmarkt in Deutschland vor große Herausforderungen. Vor allem ältere Beschäftigte könnten helfen, diese zu bewältigen.

In der Altersgruppe der 55- bis 70-Jährigen stecken immense Potenziale für den Arbeitsmarkt, die gezielt erschlossen werden könnten. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung könnten durch geeignete Maßnahmen bis 2035 immerhin 1,36 Millionen Vollzeitbeschäftigte gewonnen werden. Das entspricht rund 1,5 Millionen älteren Personen. Doch wie lässt sich dieses Potenzial heben?

Der Anteil älterer Arbeitnehmer sinkt aufgrund des demografischen Wandels kontinuierlich. Bis 2035 wird erwartet, dass die Zahl der Erwerbstätigen in der Altersgruppe der 55- bis 70-Jährigen um rund 1,5 Millionen Personen auf knapp neun Millionen sinkt. Wirtschaft und Politik stehen vor der Aufgabe, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, indem sie ältere Beschäftigte durch passgenaue Angebote im Erwerbsleben halten oder sie sogar aus dem Ruhestand zurückholen. Die Studienautoren haben dafür Vorschläge entwickelt. Sie halten allerdings ein ganzes Bündel an Maßnahmen für erforderlich. Diese können einzeln oder im Zusammenspiel funktionieren und umfassen die folgende Aspekte.

Anreize, arbeitsrechtliche Anpassungen und altersgerechte Arbeitsplätze

Finanzielle Anreize: Eine attraktivere Vergütung für ältere Arbeitnehmer kann ihre Bereitschaft erhöhen, länger zu arbeiten oder wieder in ihren Job zurückzukehren.

Arbeitsrechtliche Anpassungen: Flexiblere Arbeitszeitmodelle und die Lockerung von Tarifverträgen könnten es älteren Arbeitnehmern erleichtern, im Beruf zu bleiben.

Altersgerechte Arbeitsplätze: Physisch weniger belastende Positionen und der Einsatz technischer Hilfsmittel, beispielsweise in der Pflege, tragen dazu bei, dass Arbeitnehmer länger gesund und leistungsfähig bleiben.

Betreuungsangebote: Die Angehörigen der avisierten Zielgruppe sind besonders intensiv als Pflege- und Betreuungskraft im Einsatz. Eine gezielte Entlastung von derartigen Verpflichtungen könnte demzufolge Teilzeitbeschäftigte dazu bewegen, ihre Arbeitszeit aufzustocken.

Weiterbildung und Wertschätzung als Schlüssel

Ein zentraler Ansatz zur Förderung älterer Beschäftigter ist die Weiterbildung. Eine gezielte Förderung von Qualifikationen und lebenslanges Lernen können die Erwerbsfähigkeit und die Motivation erhöhen. Die Bertelsmann Stiftung sieht darüber hinaus die Notwendigkeit, älteren Arbeitnehmern mehr Wertschätzung entgegenzubringen, um ihre Arbeitsbereitschaft zu fördern. Insbesondere Menschen, die aktuell nicht erwerbstätig sind, aber noch keine Rente beziehen, stellen ein bisher ungenutztes Potenzial dar.

Internationale Vorbilder: Das schwedische Modell

Bei der Suche von Vorbildern für den deutschen Arbeitsmarkt geht der Blick der Studienautoren gen Norden. Vor allem Schweden gilt als beispielhaftes Vorbild. In diesem skandinavischen Land ist die Beschäftigungsquote älterer Menschen deutlich höher. Gleichzeitig fällt bei unseren nördlichen Nachbarn die Lebenszufriedenheit in dieser Altersgruppe ebenfalls überdurchschnittlich hoch aus. Schweden zeigt, dass der Erfolg einer längeren Erwerbstätigkeit also nicht nur von finanziellen Anreizen abhängt. Vielmehr gilt es, auch eine positive Arbeitsumgebung zu schaffen sowie einen respektvollen Umgang mit den Bedürfnissen älterer Arbeitnehmer zu gewährleisten.

Abbau struktureller Hemmnisse

Die Studie verweist explizit auf eine frühere Publikation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zu diesem Thema. Sie hebt hervor, dass es nicht nur auf das Können und Wollen der älteren Arbeitnehmer ankommt. Genauso wichtig sei es, ob sie überhaupt weiterarbeiten dürften. Das heißt, es müssen strukturelle Hemmnisse abgebaut und gesetzliche Rahmenbedingungen angepasst werden. Dazu zählen Änderungen bei Tarifverträgen und betrieblichen Vereinbarungen. Zugleich gilt es, die Gesundheit älterer Arbeitnehmer durch Prävention und gezielte Gesundheitsförderung zu stärken.

Die Bertelsmann Stiftung und das IAB sehen in ihren Modellen jedenfalls ein immenses Potenzial. Die Schätzungen gehen sogar über die bereits genannten 1,36 Millionen zusätzlichen Vollzeitstellen hinaus. Diese Potenziale zu realisieren, wird allerdings eine langfristige und koordinierte Anstrengung erfordern. Große Sprünge sind aus Sicht der Experten in der kurzen Zeit bis 2035 nur schwer zu erreichen. Doch die Studienautoren sind sich einig: (weiteres) Abwarten und vor allem Nichtstun sind keine Option. Insbesondere bei den Unternehmen ist der Handlungsbedarf bereits riesig. Rund 70 Prozent bezeichnen aktuell den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel als größte Herausforderungen, wie das Institut der deutschen Wirtschaft in einer Umfrage ermittelt hat.